Die spinnen

Wie elf Frauen und ein Mann zu ihrem ungewöhnlichen Hobby gekommen sind


Man kann es kaum glauben, dass es so etwas noch gibt: eine Spinnstube. Noch dazu eine, in der das ganze Ambiente stimmt. Elf Spinnerinnen und ein Spinner versammeln sich einmal im Monat in Bremke im Extertal bei Christel Lakomy. Die bewohnt ein richtiges, uriges, altes Bauernhaus. Im Winter sitzt man eng, aber gemütlich um den Kachelofen in der holzgetäfelten Stube. Im Sommer bietet die große luftige Diele den perfekten Ort für die Versammlung.

 

Ursprünglich haben sich die Wollbegeisterten im Natur- und Umweltschutzzentrum in Rinteln getroffen, doch als klar wurde, dass es für Christel Lakomy altersbedingt immer schwieriger wurde, nach Rinteln zu gelangen, verlegte die Gruppe ihr Beisammensein direkt in das Zuhause der Seniorin. „Jetzt bringen wir hier einmal im Monat alles durcheinander“, lacht Britta Raabe. „Dann hat Christel zwei Wochen Zeit zum Aufräumen und zwei Wochen, um sich auf den nächsten Überfall zu freuen.“ Und dass sie sich über ihre Gäste freut, ist nicht zu übersehen.

 

Christel Lakomy spinnt seit den siebziger Jahren. Sie hat ihr Können schon auf vielen Märkten gezeigt und so eine gewisse Bekanntheit erreicht. Auch einige der anwesenden Spinnfrauen sind durch Lakomy zu ihrem Hobby gekommen.


Die Spinn-Gruppe. - Foto: Claudia Masthoff
Die Spinn-Gruppe. - Foto: Claudia Masthoff

Meist waren es Zufälle, die die Frauen (und den einen Mann) zu ihrem ausgefallenen Handwerk geführt haben. Marianne Albrecht, zum Beispiel, ist vor vielen Jahren ein alter Webrahmen „zugelaufen“. „Zweihundert Jahre war der alt und voll funktionsfähig. Den musste ich einfach ausprobieren“, erzählt die Frau aus Uchtdorf. „Und natürlich wollte ich selbst verarbeitete Wolle dazu verwenden. Wenn schon, denn schon. Da habe ich das erste Mal Christel angesprochen, um etwas übers Spinnen zu lernen. Allzu geschickt bin ich damals nicht gewesen. Aber die dicken und nicht ganz gleichmäßigen Fäden waren fürs Weben gerade richtig“, erinnert sie sich.


Heute hingegen läuft ihr Faden dünn und gleichmäßig auf die Spule. Andere Frauen im Kreis haben alte Spinnräder geschenkt bekommen, und sie wurden neugierig, was man denn damit so anstellen könnte. Wenn man das Spinnen erst angefangen hat, ist der Weg zum „Zweitrad“ nicht weit. Die meisten der Anwesenden haben sogar vier oder fünf verschiedene Spinnräder zu Hause. „Mit einem alten Rad anzufangen, ist echt eine Herausforderung“, weiß Claudia Brenker aus Erfahrung. „Da will nichts gelingen und man weiß nicht, liegt’s am alten, klemmenden Rad oder an der eigenen Unzulänglichkeit.“ Ganz anders kam Britta Raabe zum Spinnen. Als Mitglied im Nabu ist ihr die Verantwortung für die Schafe auf den Hohenroder Streuobstwiesen „zugelaufen“. Und da stellte sich über kurz oder lang die Frage: Wohin mit der Wolle? „Die wird versponnen“, war für Raabe die naheliegende Antwort, und so suchte auch sie Christel Lakomy auf, um bei ihr in die Lehre zu gehen. Aus dieser Zusammenarbeit sollte später die ganze Spinngruppe entstehen.

 

Man kann sich das Spinnen auch selbst beibringen, dem Internet sei dank. So hat es jedenfalls Tatjana Günter gemacht. Ihre zweite Spezialität ist das Färben. „Viele Frauen, die spinnen, färben gern mit pflanzlichen Stoffen. Das gibt eher dezente Töne. Aber mir gefällt es, wenn Farben richtig leuchten. Das schafft man nur mit synthetischen Farben“, bekennt Günter.


Als Beispiel hat sie Socken mitgebracht, die sie aus Garnresten gestrickt hat, und die sind wirklich außerordentlich farbenprächtig. Günter ist die Einzige im Kreis, die ihre Produkte vermarktet. Alle anderen spinnen, stricken, häkeln und nähen für sich selbst, für Kinder und Enkel, Freunde und Bekannte.

 

Spinnen muss man üben, da sind sich alle einig. Und die, die sich in der gemütlichen Stube treffen, haben schon viel geübt. Längst reicht es ihnen nicht mehr aus, einfach einen akzeptablen Wollfaden zu produzieren. Es werden neue Herausforderungen gesucht, und sie experimentieren mit verschiedenen Materialien und Techniken. Die Routine der Geübten hat einen weiteren positiven Nebeneffekt: Sie führt zur Entspannung. Unisono geben die Frauen der Runde an, dass sie Spinnen als ausgesprochen erholsam, ja geradezu meditativ empfänden. Ein guter Ausgleich zum hektischen Alltag, da sind sie sich einig.

 

Und sie sind froh, dass sie sich gefunden haben. Zwar gibt es auf Facebook schon einige Spinn-Foren und auch die Treffen verschiedener Gruppen werden dort angekündigt. Doch dass man direkt vor der eigenen Haustür – die Teilnehmerinnen kommen alle aus der näheren Umgebung – Gleichgesinnte findet, ist eher selten. In der Gruppe findet Austausch über alle möglichen Handarbeitstechniken statt. Eigene Werke werden einem fachkundigen Publikum vorgestellt und dienen diesem wiederum als Inspiration.

 

Die Welt des kreativen Umgangs mit Garnen und Stoffen ist riesig, anregend und vielseitig. Und wenn Menschen, die sich dafür begeistern können, zusammenkommen, brauchen sie keine anderen Themen. Der Nachmittag vergeht wie im Flug.

 

Autor: Claudia Masthoff

Artikel aus der Schaumburger Zeitung vom 30.03.2015