Kinderstube für Nachtjäger auf dem Dachboden

Nabu-Auszeichnung für Kirchengemeinde Steinbergen als fledermausfreundliche Vermieter


Wenn Pastor Stephan Strottmann seine Sonntagspredigt hält, kann er davon ausgehen, dass zuweilen über 400 seiner potenziellen Zuhörer schlafen. Trotzdem muss er sich keine Sorgen machen und sich auch nicht mühen, die Schläfer wach zu rütteln. Grund: Sie gehören zur Gattung Großes Mausohr und sind als Fledermäuse willkommen, Jahr für Jahr den großen Dachboden über dem Kirchenschiff als Sommerquartier und Kinderstube für die Aufzucht der Jungtiere zu bewohnen. Und weil die Gemeinde so mieterfreundlich ist, bekam sie jetzt vom Naturschutzbund Deutschland, Landesverband Niedersachsen, die neue Auszeichnung als „Fledermausfreundliches Haus“.


Ein Anblick, den nur die ehrenamtlichen Naturschützer zu sehen bekommen: Zu einer solchen Traube zusammen gedrängt, dürfte die Kolonie der Großen Mausohren aus der Steinberger Kirche inzwischen im Winterquartier versammelt sein. - Foto: Kathy Büscher
Ein Anblick, den nur die ehrenamtlichen Naturschützer zu sehen bekommen: Zu einer solchen Traube zusammen gedrängt, dürfte die Kolonie der Großen Mausohren aus der Steinberger Kirche inzwischen im Winterquartier versammelt sein. - Foto: Kathy Büscher

Nick Büscher, Vorsitzender der NABU-Gruppe Rinteln, der dem Hausherrn die Urkunde zur Ehrung samt einer Plakette zum Anbringen am Gebäude überreichte, erklärt den Hintergrund: „Menschen und Fledermäuse unter einem Dach, das kann eine gute Gemeinschaft sein, wie der Naturschutzbund findet. Deshalb setzt sich der NABU dafür ein, Fledermaus-Quartiere in Gebäuden einzurichten beziehungsweise bestehende Quartiere zu erhalten.“ Mit der Aktion „Unter einem Dach, Fledermäuse und Menschen“ wolle der Naturschutzbund darauf hinweisen, dass jedermann mit einem kleinen Beitrag für den Fledermausschutz aktiv werden könne. Entweder durch Erhalt eines vorhandenen oder durch die Schaffung eines neuen Fledermaus-Quartiers.


Büscher weiter: Die Steinberger Kirche beherbergt seit vielen Jahren eine verhältnismäßig große Kolonie von Myotis myotis, wie das Große Mausohr mit wissenschaftlichem Namen heißt. Während der Sommermonate verbringen die geflügelten Nachtjäger den Tag schlafend auf dem Kirchenboden, bevor die erwachsenen Tiere nach Beginn der Dämmerung ausschwärmen, um Insekten als ihre Hauptnahrung zu fangen. Gleichzeitig ziehen die Mausohren, die ein Gewicht von 28 bis 40 Gramm und eine Flügelspannweite von 35 bis 43 Zentimetern erreichen können, während der Monate im Sommerquartier ihre Jungen auf.

 

Für Büscher ist dabei ein kurioses Detail, „dass aufgrund der Bedeutung für den Fledermausschutz der Dachboden der Steinberger Kirche sogar ein FFH-Gebiet ist“. Erklärung: Das Kürzel steht für Flora-Fauna-Habitate (Lebensräume für Pflanzen und Tiere), die normalerweise in der freien Natur zu finden sind. Dass Gebäude diesen Status erhielten, sei eine Besonderheit.


Dankeschön für die St. Agnes-Gemeinde: Nick Büscher, Vorsitzender der NABU-Gruppe Rinteln (r.), überreicht Pastor Stephan Strottmann die Plakette, die die Steinberger Kirche jetzt ausdrücklich als „Fledermausfreundliches Haus“ ausweist. - Foto: SZ
Dankeschön für die St. Agnes-Gemeinde: Nick Büscher, Vorsitzender der NABU-Gruppe Rinteln (r.), überreicht Pastor Stephan Strottmann die Plakette, die die Steinberger Kirche jetzt ausdrücklich als „Fledermausfreundliches Haus“ ausweist. - Foto: SZ

Seit 2003 kümmerten sich Willi Abel und sein Sohn Christian aus Obernkirchen „als Fledermaus-Experten des NABU Rinteln“ um die Besonderheit auf dem Kirchendachboden in Steinbergen, berichtet Büscher.

 

Im Prinzip haben nur die Abels Zutritt zu der streng geschützten und gut behüteten Hautflügler-Kolonie und selbst Fotos müssen für die Veröffentlichung genehmigt werden von der unteren Naturschutzbehörde des Landkreises. Als Hüter der Kinderstube zählen sie jeweils zu Beginn und gegen Ende der Aufzuchtsaison den Bestand der Tiere.

 

Mit nur 124 erwachsenen Mausohren und 65 Jungtieren ist der Jahrgang 2011 verhältnismäßig schwach besetzt, weist ihre aktuelle Statistik aus. Hauptursache dafür sind die ungünstigen Witterungsverhältnisse in diesem Jahr. Zum Vergleich: Im Jahr 2003 waren es 140 Alt- und 80 Jungtiere und im vergangenen Jahr sogar 257 Elterntiere mit 182 Fledermaus-Kindern.

 

So viele Mieter machen nicht wenig Schmutz, wissen Willi und Christian Abel. Deshalb gehört das Saubermachen nach Saisonende zu ihren Aufgaben. Und dabei kann schon mal in fruchtbaren Jahren eine ganze Schubkarre voll Fledermauskot anfallen.


„So weit ich weiß, sind die Großen Mausohren Anfang September schon wieder in ihre Winterquartiere umgezogen“, hat Büscher von den Wächtern der Kinderstube gehört. In Höhlen, Stollen und Felsspalten warteten die Tiere schlafend auf ihr Wiedererwachen im Frühjahr, wenn steigende Temperaturen ihre Starre löse.

 

Büscher wirbt um Verständnis bei Gebäudebesitzern: „Fledermäuse sind wie kaum eine andere Tiergruppe in ihrer Wohn- und Lebensweise vom Menschen abhängig. Mehr als die Hälfte aller niedersächsischen Fledermausarten sind auf den lebenswichtigen Unterschlupf in Gebäuden angewiesen. Sie besiedeln vorzugsweise Dachböden und unterschiedliche Hohlräume, ohne die Bausubstanz zu schädigen.“

 

Das Engagement der Gemeinde St. Agnes in Steinbergen sei deshalb besonders zu würdigen, da sie das Fledermaus-Quartier auf dem Kirchendach-Boden seit vielen Jahren erhalte und die Arbeit der ehrenamtlichen Naturschützer Willi und Christian Abel unterstütze.

 

Büscher erklärt: Deshalb ehre der NABU Niedersachsen die Steinberger Gemeinde als ersten „Vermieter“ im Bereich Rinteln mit der neuen Auszeichnung. Bei dieser Gelegenheit verweist der Rintelner NABU-Vorsitzende darauf, dass auch Vater und Sohn eine Auszeichnung für ihren ehrenamtlichen Einsatz bekommen haben: „Beide wurden im vergangenen Jahr mit dem Schaumburger Bürgerpreis geehrt, der unter dem Motto stand ‚Umwelt schützen - Zukunft sichern‘.“

 

Ein Anblick, den nur die ehrenamtlichen Naturschützer zu sehen bekommen: Zu einer solchen Traube zusammen gedrängt, dürfte die Kolonie der Großen Mausohren aus der Steinberger Kirche inzwischen irgendwo im Winterquartier versammelt sein.


Schaumburger Zeitung vom 22. September 2010