Ohne die richtigen Weichenstellungen für mehr Artenvielfalt in Niedersachsen geht es nicht

NABU appelliert an Landwirtschaft, mehr Verständnis für die Belange des Volksbegehrens aufzubringen / Zukunftsfähigkeit der Landnutzung steht mit auf dem Spiel


Der NABU Rinteln hat mit Interesse den offenen Brief des Vorsitzenden des Landvolks Weserbergland, Karl-Friedrich Meyer, zur Kenntnis genommen. Als Reaktion auf einen Leserbrief des Rintelner NABU-Vorsitzenden Dr. Nick Büscher hofft der NABU nun auf einen konstruktiven Austausch: „Wir stehen vor Problemen, die wir gemeinsam lösen müssen. Unser Volksbegehren für mehr Artenvielfalt in Niedersachsen ist ein wichtiger Baustein dafür“, wie Büscher betont. Die Faktenlage sollte in Erinnerung gerufen werden, damit man eine gemeinsame Gesprächsgrundlage hat.


Der Bestand der Bekassine hat durch Lebensraumverlust deutlich abgenommen. - Foto: Kathy Büscher
Der Bestand der Bekassine hat durch Lebensraumverlust deutlich abgenommen. - Foto: Kathy Büscher

Nicht ignorieren kann man laut NABU, dass die Artenvielfalt in Niedersachsen auf dem Sinkflug ist: „Vogelarten, die auf Grünland brüten, weisen dramatische Verluste auf. So hat der Bestand der Bekassine, die auf Feuchtgrünland und Moore angewiesen ist, seit den 1980er Jahren um über 80 Prozent abgenommen. Ihr Lebensraum wurde zum Teil in Acker umgewandelt oder wird so intensiv genutzt, dass Bekassine, Großer Brachvogel, Uferschnepfe, Kiebitz & Co. keine Jungen mehr aufziehen können“, wie Büscher erläutert. Auch die Anzahl der Insektenarten ist in den vergangenen zehn Jahren um etwa ein Drittel zurückgegangen. Der Insektenschwund war besonders ausgeprägt auf Flächen, die von intensiv landwirtschaftlich genutzten Flächen umgeben waren.


„Gerade unsere Streuobstwiesen gehören zu den am stärksten gefährdeten Biotoptypen, nachdem ab der Mitte des 20. Jahrhunderts der Streuobstanbau im zunehmenden Maße unwirtschaftlich und die Anbauflächen dezimiert wurden“, wie Büscher erklärt. Auf der Datenbasis des NLWKN muss davon ausgegangen werden, dass mindestens 70 Prozent der Obstwiesen der Hauptrodungsperiode in den 1970er Jahren zum Opfer gefallen sind. „Verbreitungsschwerpunkte sind heute noch im Eichsfeld, Leine- und Weserbergland und im südlichen Harzvorland zu finden“, erklärt Büscher. Die ursprünglichen Standorte sind seit den 1950er Jahren in Bauland, Acker oder Grünland und Wald umgewandelt worden.


Die Streuobstwiese Hohenrode. - Foto: Kathy Büscher
Die Streuobstwiese Hohenrode. - Foto: Kathy Büscher

Auch zum Klimawandel trägt die industrialisierte Landwirtschaft bei. „Dafür verantwortlich sind vor allem Methan-Emissionen aus der Tierhaltung, das Ausbringen von Wirtschaftsdünger (Gülle, Festmist) sowie Lachgas-Emissionen aus landwirtschaftlich genutzten Böden als Folge der Stickstoffdüngung“, so Büscher weiter. Laut Daten des Umweltbundesamtes stammen rund 60 Prozent der gesamten Methan-Emissionen und 80 Prozent der Lachgas-Emissionen in Deutschland aus der Landwirtschaft. Im Jahr 2017 war die deutsche Landwirtschaft somit insgesamt für 66,3 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente verantwortlich.


„Die größeren Effekte zeigen sich, wenn man die Kernprobleme betrachtet“, wie Büscher erläutert. Intensive Landwirtschaft mindert die Artenvielfalt durch den Einsatz von Pestiziden und hohe Düngergaben, die Umwandlung von Grünland in Acker, die frühe Mahd des Grünlandes sowie der Verlust von Hecken, Feldgehölzen und Säumen – z.B. durch Zusammenlegung von Feldern zu immer größeren Schlägen. Und dies schädigt laut NABU nicht nur unmittelbar die Artenvielfalt auf den landwirtschaftlich genutzten Flächen, sondern hat Auswirkungen weit darüber hinaus: „Hohe Stickstoffeinträge aus der Luft sorgen für Überdüngung und Versauerung unserer Wälder und Moore. Stoffstoff, Phosphat und Pestizide sind ein Problem für unsere Seen, Bäche und Flüsse“, so Büscher weiter.


Auch der Kiebitz macht sich in Niedersachsen rar. - Foto: Kathy Büscher
Auch der Kiebitz macht sich in Niedersachsen rar. - Foto: Kathy Büscher

Bezogen auf das initiierte Volksbegehren „Artenvielfalt. Jetzt!“ gesteht Büscher zu, dass man mit den Vorgaben in die landwirtschaftliche Nutzung eingreift. „Selbstverständlich wollen und können wir nicht von den Bäuerinnen und Bauern erwarten, dass sie diese Leistungen kostenlos erbringen. Der Schutz der Natur und unserer Arten ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auch von der gesamten Gesellschaft zu finanzieren ist“, wie Büscher betont. Deshalb sieht das Volksbegehren vor, den Erschwernisausgleich, den es grundsätzlich bereits gibt, entsprechend auszubauen.


Die ausgestreckte Hand bedeutet laut Büscher auch, mit dem Volksbegehren die Landwirtschaft zukunftsfähig zu machen. „Bezogen auf den Klimawandel ist die Landwirtschaft Mitverursacherin und zugleich Betroffene. Um den Klimawandel zumindest zu verlangsamen, ist die Landwirtschaft gefordert, einen deutlich umfangreicheren und dauerhaften Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Hierbei ist eine nachhaltige Bewirtschaftung einer der Schlüssel zur Lösung des Problems“, wie Büscher betont. Die ökologische Landwirtschaft arbeitet zum Beispiel deutlich klimafreundlicher als die konventionelle Landwirtschaft. Eine stärkere Förderung des Ökolandbaus ist also ein aktiver Beitrag zum Klimaschutz. Auch durch den Erhalt von Dauergrünland oder die Anhebung des Humusgehalts von Ackerflächen kann Kohlenstoff langfristig im Boden gespeichert werden.


Es fehlt an strukturreichem Grünland. - Foto: Kathy Büscher
Es fehlt an strukturreichem Grünland. - Foto: Kathy Büscher

Büscher kann verstehen, dass in der Landwirtschaft derzeit große Unsicherheit und Sorgen bestehen, appelliert jedoch, mehr Verständnis für die Belange des Volksbegehrens aufzubringen: „Landwirtschaft ist mehr als die Produktion von Lebensmitteln. Die Landwirtschaft prägt unsere Landschaft und damit unser aller Lebensumfeld sehr entscheidend. Sie ist ein wichtiger Faktor bei Klimaschutz, Artenschutz, der Qualität des Trinkwassers und vieles mehr. Deshalb haben natürlich alle Bürgerinnen und Bürger ein besonderes Interesse, ihre Meinung über die Art der Landbewirtschaftung und ihre potenziellen Folgen einzubringen. Letztlich ist dies laut Büscher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dem auch das Volksbegehren versucht gerecht zu werden.